Ich war 27, als ich zum ersten Mal durch das Fehlen von empathischer Führung spürte, wie nah Leistung und Erschöpfung beieinanderliegen. Damals leitete ich ein Teilprojekt in einem grösseren Auftrag, der komplexer und unberechenbarer war, als ich es je vorher erlebt hatte. Ich wollte alles richtig machen und landete nach gefühlt zwei 80-Stunden-Wochen beim Arzt, kurz vor einem Magengeschwür. Heute weiss ich: Überlastung wächst schleichend. Sie zeigt sich weniger in Zahlen, sondern in der Atmosphäre. Und sie fordert eine neue Art der Führung, die empathisch, resonant, und vor allem wachsam ist. Dieser Text ist ein Plädoyer für eine empathische Führung und dafür, die feinen Warnsignale seismografisch frühzeitig, vor dem Vulkanausbruch zu erkennen, wenn ein gesunder Ausstieg noch möglich ist.
Seitdem sehe ich bei jedem Projekt schneller die rote Fahne und achte bewusster auf meine Energie, auf die innere Spannungen. Ich weiss heute, wie viel „Übersprung“ ich mir erlaube, bevor mein System kippt. Mir wurde bewusst, dass Überforderung, Stress und die Vorstufen eines Burnouts nicht mit der Anzahl geleisteter Stunden allein zu tun haben. Überlastung ist kein Zeitproblem, sie ist ein Wahrnehmungsproblem. Und hier beginnt meine Faszination: Wie erkennen wir – als Menschen, als Führungskräfte oder Eltern, als Teil der Systeme – die feinen Signale, bevor sie ausbrechen und unveränderbare Schäden erreichen?
Was ist eine empathische Führung?
Empathische Führung bedeutet, dass Führungskräfte nicht nur Ziele und Aufgaben im Blick haben, sondern auch Emotionen, Energie und Stimmungen im Team wahrnehmen, beachten und darauf auch reagieren.
3 typische Merkmale empathischer Führung:
- nimmt Emotionen im Team wahr
- reagiert auf Spannungen, bevor sie eskalieren
- schafft psychologische Sicherheit (für die erste 5 Schritte lese hier weiter)
Empathische Führung schafft psychologische Sicherheit, fördert Vertrauen und erkennt Überlastung, bevor sie sich in Krankheit oder Rückzug zeigt.
Warum Überlastung oft übersehen wird – trotz aller Signale
Ich spüre Überlastung meist, bevor ich sie sehe. Bevor jemand darüber spricht oder sie sich in Ergebnissen zeigt. Es beginnt als leiser Riss in der Energie. Eine Veränderung im Ton, im Tempo, in der Art, wie jemand den Raum betritt. Früher habe ich das oft ignoriert, es glich einer Einbildung. Bis ich einmal mit einem Kollegen arbeitete, der nicht in meinem Team war, aber eng mit mir an einem Projekt.
Er war kompetent, klar, zuverlässig – und irgendwann klang seine Stimme anders: ein wenig angespannter, ein wenig kontrollierter. Einmal lachte er über etwas, das gar nicht so witzig war, viel zu laut. Ich spürte, dass etwas nicht stimmt und tat trotzdem überhaupt nichts. Er hatte ja sichtbar alles im Griff. Ein paar Wochen später wurde er dann krank. Und ich wusste: Ich hatte es längst gewusst, nur eben nicht ernst genommen. Seitdem beschäftigt mich diese Frage: Warum erkennen wir Überlastung so spät, obwohl wir sie längst fühlen?
Führung zwischen System und Seele
Ich arbeite viel mit ehrgeizigen Menschen meiner Generation, wir sind reflektiert, wollen Sinn und Wirkung zugleich. Wir führen mit Beziehung, anstatt mit Autorität. Wir spüren, wenn etwas kippt, bevor jemand es ausspricht. Das ist eine grosse Stärke aber auch ein Risiko. Denn wer viel wahrnimmt, muss umso mehr regulieren. Neurosensitive Menschen – und davon gibt es etwa ein fünftel in jeder Gruppe, auch in der Generation Y – verarbeiten Reize tiefer. Wir hören Zwischentöne, nehmen Stimmungen auf, lesen Energie zwischen den Zeilen. Doch genau diese Feinfühligkeit kann einen überlasten, wenn wir sie nicht bewusst führen. Überlastung hat längst aufgehört, ein Zeitproblem zu sein. Sie ist ein Systemphänomen. Sie entsteht, wenn wir dauerhaft mehr geben, als wir verarbeiten können. Wenn unser Nervensystem in Hochfrequenz läuft, während der Körper nach Integration ruft.
„Wer viel wahrnimmt, muss viel regulieren.“
Stress und seine Wirkung
Wenn wir in Dauerstress geraten, schaltet unser Gehirn um.
Der präfrontale Cortex – jener Bereich, der für klare Entscheidungen, Überblick und bewusste Selbststeuerung zuständig ist – wird weniger aktiv. Wir verlieren den Zugang zu rationalem Denken, langfristiger Planung und konstruktiver Perspektive.
Stattdessen übernimmt das limbische System, also unser emotionales Alarmzentrum.
Es bewertet Situationen nicht nach Inhalt, sondern nach Bedrohung.
In diesem Zustand reagieren wir nicht mehr bewusst, sondern reflexhaft.
Diese Reflexe können sehr unterschiedlich aussehen:
- Fight: Wir gehen in Konfrontation, werden kritisch, hart, ungeduldig.
- Flight: Wir ziehen uns zurück, vermeiden, brechen Kontakt ab.
- Freeze: Wir blockieren innerlich, fühlen uns wie „stillgelegt“.
- Fawn (oft übersehen): Wir werden überfreundlich, versuchen zu gefallen, um Sicherheit herzustellen.
Interessant ist: Auch Euphorie durch Anerkennung oder Erfolg kann das limbische System aktivieren. Dann fühlt es sich an wie „Hochenergie“, vielleicht sogar wie Flow, dennoch ohne den ruhigen, stabilen Boden darunter. Das ist das berühmte Überdrehen, das sich erst später rächt.
Stress ist also nicht nur „zu viel Arbeit“. Er ist ein Zustand des Nervensystems, in dem die Fähigkeit zur Selbstführung eingeschränkt ist.
Wenn du selbst spürst, dass etwas kippt – aber noch funktionierst: Ich begleite dich gern auf dem Weg zu einer bewussteren Selbstführung.
„…Überlastung ist kein Zeitproblem
sie ist ein Wahrnehmungsproblem…..“
Die 3 häufigsten Warnsignale von Überlastung im Team
Unterschätztes Warnsignal #1:
Dauerpräsenz ohne Regeneration
Manchmal sieht es nach Engagement aus, bei besserer Beobachtung sehen wir, es ist ein Dauerreiz. Eine Konferenzwoche, eine Messe, ein Grossprojekt mit ständigen Kontakten, Essen, Smalltalk. Es fühlt sich lebendig an, aber das System bekommt keine Stille. Keinen Moment, in dem der Körper auf Verarbeiten umstellen kann. Ich habe diese Art von Überlastung oft beobachtet und auch selbst erlebt: Wenn alles äusserlich läuft, aber innerlich nichts mehr klingt.
Das Nervensystem bleibt im Hochtonbereich, auch nachts. Nach aussen professionell, nach innen leer. Das ist keine Müdigkeit, sondern eine sensorische und soziale Übersättigung. Sie ist tückisch, weil sie in Erfolg getarnt ist. Doch wer zu lange in Dauerpräsenz bleibt, verliert Resonanzfähigkeit. Man hört die Zwischentöne nicht mehr, weder bei sich noch bei anderen.
Unterschätztes Warnsignal #2:
Projekte jenseits der Lernzone
Ich glaube, es gibt eine feine Linie zwischen Herausforderung und Überforderung. Wachstum passiert optimal knapp ausserhalb der Komfortzone. Aber wenn die Aufgabe nicht nur das Nächste, sondern das Übernächst-Komplizierte ist, kippt Spannung in Stress. Ich sehe das oft in Projekten, die zu viele Unbekannte Parameter enthalten. Man will lernen, was Neues gestalten oder Neues wagen – und plötzlich merkt man, dass das System im Alarmmodus läuft. Nicht, weil man unfähig ist, sondern weil das Gehirn permanent neue Landkarten zeichnen muss, ohne Pause oder festen Boden unter den Füssen. Diese Form von Überlastung ist kognitiv und emotional zugleich.
Sie entsteht, wenn ein Mensch zu lange in Unsicherheit lebt, ohne Orientierung und ohne Zwischenerfolg. Der Körper reagiert mit Daueranspannung, selbst wenn man denkt: „Es läuft doch.“ Ich habe gelernt: Wenn Lernen dauerhaft Stress erzeugt, war der Sprung zu weit. Führung heisst dann, mit präzisen Augen erkennen und die Spannung zu dosieren für andere, aber auch für sich selbst.
Unterschätztes Warnsignal #3:
Unsichtbare Zusatzlasten
Es gibt Zeiten, in denen Menschen still mehr tragen, als sichtbar ist. Eine Krankheit eines Angehörigen. Ein Trauerfall. Ein familiäres Thema, das Kraft zieht. Oder beruflich: ein Team, das nicht eigenständig funktioniert, Kolleg:innen, die man ständig mitziehen oder ersetzen muss, eine Geschäftsleitung, die das operative Feld kaum kennt. Von aussen wirkt alles kontrolliert, doch innerlich läuft ein zweiter, unsichtbarer Prozess: emotionale Dauerregulation. Man gleicht aus, vermittelt, übersetzt, hält Systeme am Laufen. Das kostet Energie, die nirgends erfasst wird.
Diese Form der Überlastung ist moralisch und strukturell zugleich. Sie erschöpft nicht durch das, was getan wird, sondern durch das, was nicht getan werden kann. Die Ohnmacht, zu sehen, was nötig wäre, aber nicht umsetzbar ist. Ich habe gelernt, solche Spannungen früh zu benennen, ob bei mir oder bei anderen. Denn nichts ist gefährlicher als eine stille Zusatzlast, die alle spüren und niemand ausspricht.
Wie empathische Führung Überlastung früh erkennt
Überlastung beginnt selten deutlich
..und wird dadurch umso schwerer zu erkennen. Die obige drei Warnsignale wirken harmlos, fast selbstverständlich. Doch genau darin liegt ihre Kraft: Sie bleiben oft unter dem Radar. Man sieht Menschen, die funktionieren freundlich, professionell präsent sind. Die feine Wahrnehmung spürt doch, dass die Frequenz kippt, aber der Sichtbare täuscht. Überlastung beginnt nicht mit einem Burnout, sondern mit feinen Verschiebungen in der Energie. Wer sie erkennt, bevor sie sich verdichtet, führt bewusster. Und wer sich selbst dabei beobachtet, kann erkennen, dass die Grenze zwischen Engagement und Erschöpfung fliessender ist, als wir denken.
–>Falls du tiefer eintauchen willst: Ich habe dazu hier die 8 häufigsten Formen unsichtbarer Überlastungen geschrieben.
Kalibrieren statt Kontrollieren
Ich kalibriere gern, bevor ich wirklich loslege. Wenn ich mit neuen Menschen arbeite, beobachte ich nicht nur, was sie sagen – sondern wie sie reagieren, wenn sie etwas leicht irritiert. Eine unerwartete Frage. Ein Perspektivwechsel. Eine kleine Spannung. Nicht, um sie zu testen, sondern um zu spüren, wie jemand auf Unsicherheit reagiert. Bleibt er offen? Wird er defensiv? Weicht er aus oder sucht er Kontakt? Diese kleinen Kalibrierungsmomente sind mein Barometer. Sie zeigen mir, wie jemand mit Druck, Ambiguität oder Nähe umgeht – und helfen mir später, Überlastung besser zu erkennen. Ich tue das nicht, um Kontrolle zu behalten, sondern um zu ihnen die Verbindung auch bei hohem See zu halten. Denn wer Menschen führen will, muss Schwingungen lesen lernen, nicht nur Zahlen zählen.
Warum viele die Überlastung nicht sehen
Oft liegt es nicht am fehlenden Willen, sondern an drei einfachen Mustern:
1. Selbstüberlastung – man erkennt bei anderen nicht, was man selbst verdrängt.
2. Systemblindheit – Organisationen bewerten Output, nicht Energiequalität.
3. Kulturelles Narrativ – „Nur wer viel tut, ist wertvoll.“
So werden Frühwarnsignale überhört, bis das System schreit: Krankheit, Rückzug, Kündigung. Dann erscheint alles plötzlich aus dem nichts. In Wahrheit war es monatelang spürbar, nur leider nicht messbar.
Resonanzkompetenz: Die unterschätzte Führungsqualität der Zukunft
Resonanzkompetenz bedeutet, feine Schwingungen wahrzunehmen, ohne sich in ihnen zu verlieren. Es ist die Fähigkeit, die Atmosphäre jeweils zu lesen im Raum, im Team, aber auch in sich selbst. Das braucht drei Dinge:
- Selbstwahrnehmung: Nur wer die eigene Spannung kennt, erkennt sie bei anderen.
- Neugier: Beobachten statt bewerten.
- Mut zum Kontakt: Nachfragen, bevor etwas bricht. Ein Satz wie „Du wirkst heute etwas anders, was beschäftigt dich denn?“ kann mehr Prävention leisten als jeder Gesundheitstag.
„Überlastung entsteht nicht,
weil Menschen schwach sind.
Sie entsteht, wenn Systeme vergessen haben,
dass Regeneration Teil des Kreislaufs ist.“
Führung der Zukunft ist energetisch
Ich glaube, dass Führung in Zukunft weniger über Rollen definiert wird, sondern über Frequenzen. Nicht: Wie viele Menschen führst du? Sondern: Wie fein kannst du wahrnehmen, was wirklich gebraucht wird? Diese Form der Führung entsteht, wenn Bewusstsein auf Wahrnehmung trifft. Wenn wir wieder lernen, uns selbst und andere als Resonanzkörper zu sehen – nicht nur als Ressourcen. Die Generation Y bringt dieses Bewusstsein mit. Sie will Wirkung, aber nicht auf Kosten von Lebendigkeit. Sie will führen, und sie will Tiefe – braucht dazu Strukturen, die das aushalten.
Ein leiser Schluss zur menschlichen Führung
Manchmal erinnert mich unsere Arbeitskultur an eine Mine. Wir fördern alles heraus, was in einem Menschen glänzt: Fähigkeit, Tempo, Begeisterung, Verantwortungsgefühl. Damit holen wir Schätze aus ihrer Tiefe und zwar schnell, und sysematisch effizient.
Doch anders als in einer verantwortungsvoll betriebenen Landschaft fehlt oft die Renaturierung zur Zurückstellung der Balance. Wenn wir nur nehmen und nichts zurückgeben, wird der Mensch nicht ärmer an Leistung, sondern ärmer an Lebendigkeit. Und das ist der Punkt, an dem Erschöpfung beginnt.
Überlastung ist kein persönliches Versagen. Sie ist das Symptom einer (Arbeits-) Kultur, die Aktivität höher bewertet als Bewusstheit. Ich wünsche mir, dass wir beginnen, anders hinzuschauen. Dass wir Führung als feine Kunst des Spürens im System verstehen, die hinschaut und nicht als Daueraufgabe des Beweisens. Denn Überlastung sieht man nicht sofort in Zahlen, sondern in der Atmosphäre. Wer sie früh erkennt, führt nicht nur erfolgreicher, sondern menschlicher.
Für Führungskräfte der Generation Y, die mit Feingefühl und Klarheit navigieren wollen, hier geht’s zum Angebot:
Empathische Führung bedeutet, dass Führungskräfte nicht nur Ziele und Aufgaben im Blick haben, sondern auch Emotionen, Energie und Stimmungen im Team wahrnehmen, beachten und darauf auch reagieren.
Empathische Führung schafft psychologische Sicherheit, fördert Vertrauen und erkennt Überlastung, bevor sie sich in Krankheit oder Rückzug zeigt.
Achte auf die kleine Hinweise, Rückzug, Gereiztheit, unerwartete Explosivität, unruhiger Blick, häufiger Zerstreutheit, aber auch auf Signale, wie Sarkasmus oder ruhiges Lächeln. Zeichen des Stress kann auch eine angestrebte zu grosse Perfektion sein.
Nimm es ernst, ohne es sofort erklären zu müssen. Frage dich (oder dein Gegenüber): „Was verändert sich gerade – innerlich, äusserlich?“
Ein ruhiges Gespräch, mit Zuhören kann den unsichtbaren Druck senken. So kannst du anfangen:
„Mir fällt auf, dass du ruhiger bist als sonst. Ist bei dir gerade viel los?“
„Ich merke bei mir eine Unruhe, die ich nicht ganz einordnen kann. Ich nehme sie mal ernst.“

Bori Tarpay verbindet Ingenieurgeist mit Empathie – für mehr Selbstführung.
Als Mentorin für sensible Köpfe in Technik & Design hilft sie vielwahrnehmenden Professionals dabei, ihre innere Stabilität aufzubauen und ihr Potenzial klar zu entfalten – damit sie nicht nur sich selbst, sondern auch Projekte, Teams und Organisationen resilient führen können.
Welche feinen Signale nimmst du in deinem Team wahr? Teile deine Gedanken in den Kommentaren.


